direkt zum Hauptinhalt springen

Essstörungen bei Jungen und Männern

Zu den Social Media Links
Blick durchs Fenster auf drei Männer in einem Cafe

Essstörungen bei
Jungen und Männern

In der öffentlichen Meinung gelten Essstörungen verbreitet als Frauenkrankheit. Doch auch Jungen und Männer können betroffen sein. Ihr Leidensdruck ist in vielen Fällen besonders hoch, weil sie mit ihrer Erkrankung oft nicht wahr- und ernstgenommen werden.

Hinzukommt, dass vor allem bei männlichen Patienten eine andere Störung vorliegen kann, die wenig bekannt ist. Auch die sogenannte Muskelsucht geht oft mit bedenklichen und zwanghaften Ernährungsgewohnheiten einher.

Essstörungen: typisch weiblich?

Grundsätzlich können bei Jungen und Männern alle Arten von Essstörungen auftreten. Wie weibliche Patientinnen entwickeln sie am häufigsten eine Binge-Eating-Störung, gefolgt von der Bulimie und schließlich der Magersucht.

Die Krankheitszeichen sind dann ähnlich wie bei Mädchen und Frauen. Das typische Merkmal ist problematisches Essverhalten. Betroffene schränken die Nahrungsaufnahme drastisch ein oder erleben immer wieder unkontrollierbare Essanfälle. Unabhängig vom Geschlecht kreisen die Gedanken Erkrankter ständig um ihre Ernährung, ihr Gewicht und ihre Figur.

Bisher vorliegende Daten sprechen zwar dafür, dass Essstörungen bei Jungen und Männer insgesamt seltener vorkommen als bei Mädchen und Frauen. Allerdings könnte die Zahl Betroffener höher sein als angenommen. Denn bei männlichen Patienten wird eine Essstörung häufig nicht oder erst spät erkannt – aus verschiedenen Gründen:

  • In ihrer Rolle als „starkes Geschlecht“ glauben Jungen und Männer oft, keine Schwäche zeigen zu dürfen. Sie haben dadurch größere Schwierigkeiten als Mädchen und Frauen, sich selbst oder anderen gegenüber Probleme zuzugeben.  
  • Viele Patienten verleugnen ihre Erkrankung auch aus Scham oder aus Angst vor einer Stigmatisierung. Dazu trägt das häufige Vorurteil bei, von Essstörungen seien lediglich Mädchen, Frauen und allenfalls schwule Männer betroffen.
  • Mädchen und Frauen mit Essstörungen eifern meist einem Schlankheitsideal nach. Dagegen streben betroffene Jungen und Männer eher einen muskulösen Körperbau an. Sie sind daher oft normalgewichtig und fallen seltener durch extreme Magerkeit auf.  
  • Zudem neigen medizinische Fachkräfte laut Studien dazu, bei männlichen Patienten mit auffälligem Gewicht eher nach körperlichen Ursachen zu suchen. Oft wird eine Essstörung gar nicht in Betracht gezogen und dadurch öfter übersehen als bei Mädchen und Frauen.

All diese Faktoren führen dazu, dass Jungen und Männer in vielen Fällen nicht die Hilfe suchen oder bekommen, die sie zur Überwindung der Essstörung dringend benötigen.

 

Ebenso wie weibliche leiden auch männliche Betroffene oft zusätzlich an seelischen Begleiterkrankungen wie einer Depression, Angststörung oder Zwangserkrankung. Ein enger Zusammenhang besteht vor allem bei Jungen und Männern auch zwischen Essstörungen und der Muskelsucht.

Sonderform Muskelsucht

Bei dieser Verhaltensstörung beschäftigen sich Betroffene in extremem Ausmaß mit der Muskelmasse ihres Körpers. Ihr Selbstwertgefühl ist stark abhängig von einer Figur mit deutlich hervortretenden Muskelpartien.

Muskelsucht ist ein umgangssprachlicher Begriff, ebenso wie Biggerexie oder Adonis-Komplex. Die Fachbezeichnung lautet Muskeldysmorphie. Ursprünglich wurde die Muskelsucht „männliche Anorexie“ genannt. In der Tat betrifft die Krankheit vorwiegend Jungen oder Männer. Zudem ähnelt sie in vielen Merkmalen der Magersucht:

  • Erkrankte leiden nach aktuellem Wissenstand ebenfalls an einer gestörten Körperwahrnehmung: Sie empfinden sich selbst dann noch als zu schmächtig, wenn sie bereits überdurchschnittlich stark bemuskelt sind.  
  • Oft zeigen Betroffene auffälliges Essverhalten. Sie halten streng auf Muskelzuwachs und Fettabbau ausgerichtete Diätpläne ein. Viele betreiben Food-Tracking und erfassen penibel, was, wann und wie viel sie essen. Häufig werden Proteinpräparate eingenommen. Essenseinladungen lehnen Erkrankte aus Angst ab, gegen die selbst gesetzten Ernährungsregeln zu verstoßen.
  • Manche Betroffene setzen auch missbräuchlich Medikamente und teilweise illegale Substanzen (Anabolika) ein, um das Muskelwachstum zu fördern. Für dieses Ziel nehmen sie zum Teil bewusst massive Gesundheitsschäden durch diese Wirkstoffe in Kauf.   
  • Typischerweise treiben Menschen mit Muskelsucht übermäßig Sport – wie auch manche an Magersucht Erkrankte. Im Fokus stehen Trainingsformen zur Körperoptimierung (Kraftsport, Bodybuilding). Betroffene trainieren täglich oft stundenlang – im Extremfall trotz gesundheitlicher Probleme oder selbst nach Verletzungen.
  • Sportliche Aktivitäten und die Planung darauf abgestimmter Mahlzeiten bestimmen den Tagesablauf Betroffener. Beides kann so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass es sich nicht mehr mit schulischen, beruflichen oder privaten Verpflichtungen vereinbaren lässt.
  • Nicht selten versuchen Erkrankte, ihr problematisches Ernährungs- und Sportverhalten vor anderen zu verheimlichen. Auch dies ist ein Kennzeichen, das die Muskelsucht mit Essstörungen verbindet.   

Anders als bei der Magersucht zielt das extreme Trainings- und Ernährungsverhalten bei der Muskelsucht weniger auf einen Gewichtsverlust ab. Viele Betroffene sind ungewöhnlich gut gebaut. Oft erhalten sie für ihren durchtrainierten Körper und ihre Disziplin Anerkennung. Ihre Fixierung auf das Aussehen sowie auf strenge Sport- und Essensregeln stößt aber nicht selten auch auf Unverständnis oder Ablehnung im sozialen Umfeld.

Die Muskelsucht ist keine Essstörung im engeren Sinne. Vielmehr zählt sie laut gängigen Diagnosekatalogen (DSM, ICD) zu den somatoformen (körperbezogenen) Störungen. Allerdings kann aus dieser Sonderform der Sportsucht eine Essstörung entstehen, insbesondere eine Magersucht.

 

Nicht alle Menschen, die sehr viel trainieren oder Bodybuilding betreiben, sind sport- oder muskelsüchtig. Davon kann erst die Rede sein, wenn das Streben nach Fitness oder Muskeln zwanghaft und zum alles bestimmenden Lebensinhalt wird.

Konkrete Zahlen zur Verbreitung der Muskelsucht gibt es bislang nicht. Schätzungen zufolge liegt ihre Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung bei etwa einem Prozent. Im leistungsorientierten Sport geht man von deutlich höheren Zahlen aus. Insgesamt sind Jungen und Männer wesentlich öfter betroffen als Mädchen und Frauen.

Download Muskelsucht

Herausgeber: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

PDF-Dokument

Entstehung und Entwicklung

Den Wunsch, möglichst schlank, muskulös und kraftvoll zu sein, haben viele Jungen und Männer. Damit sie eine Muskelsucht oder Essstörung entwickeln, müssen jedoch weitere Faktoren hinzukommen.

Für beide Erkrankungsformen werden ähnliche Ursachen und Auslöser vermutet. Als besonders gefährdet gelten Menschen mit geringem Selbstwert, dem Hang zum Perfektionismus und ausgeprägter Unzufriedenheit mit sich und dem eigenen Körper.

Eine Rolle spielen neben der Persönlichkeit auch biologische Einflüsse, individuelle Erfahrungen und die Lebensumstände Betroffener. Ebenfalls bedeutsam sind gesellschaftliche Normen, die unter anderem durch die Medien geprägt werden. Insbesondere die sozialen Netzwerke verbreiten ein Bild von Schönheit, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Verständlicherweise möchten gerade Jugendliche, aber auch viele Erwachsene, so aussehen wie ihre Vorbilder im Internet.

 

Download Themenblatt Soziale Medien

Herausgeber: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

PDF-Dokument

Bei Mädchen und Frauen geht die Optimierung des eigenen Körpers in der Regel in Richtung Gewichtsabnahme. Ständige Diäten können dann in eine Magersucht oder Bulimie münden. Auch bei Jungen und Männern kann sich auf diese Weise eine Essstörung entwickeln. Meist hungern sie sich jedoch nicht zur Idealfigur. Im Allgemeinen trainieren männliche Betroffene eher mit exzessivem Kraftsport auf die vermeintlich perfekten Körpermaße hin – oft in Kombination mit einer muskelaufbauenden Ernährung.

Ein erhöhtes Risiko für eine Muskelsucht oder gestörtes Essverhalten (Anorexia athletica) haben auch Leistungssportlerinnen und -sportler. Dies gilt vor allem für Disziplinen, bei denen starke Bemuskelung oder niedriges Körpergewicht im Wettkampf von Vorteil sind. 

Der Übergang zwischen einer Essstörung und einer Muskelsucht ist oft fließend. So kann die eine Erkrankung in die andere übergehen. Manchmal liegt zunächst eine Muskelsucht vor, aus der sich mit der Zeit beispielsweise eine Magersucht entwickelt. Auch die umgekehrte Richtung ist möglich. In einigen Fällen bestehen beide Verhaltensstörungen gleichzeitig.

Professionelle Hilfe

Essstörungen sind ernstzunehmende Erkrankungen. Auch die Muskelsucht ist kein „Fitness-Tick“, der sich irgendwann von allein legt. Betroffene brauchen in beiden Fällen eine Psychotherapie, um wieder gesund zu werden.

Bei Jungen und Männern mit einer Essstörung sind die Aussichten auf Heilung nach aktuellem Wissensstand ähnlich zu beurteilen wie bei Mädchen und Frauen. Generell stehen die Chancen auf vollständige Heilung umso besser, je früher die Behandlung beginnt. Das gilt auch für die Muskelsucht.

Ihre Krankheit zu akzeptieren und sich Hilfe zu holen, fällt den meisten Betroffenen schwer. Viele nehmen sich durch ihr gestörtes Körperbild nicht als krank wahr. Mädchen und Frauen ziehen aber oft jemanden ins Vertrauen, wenn ihr problematisches Ess- oder Sportverhalten sie belastet. Jungen und Männern dagegen sprechen Probleme eher selten von sich aus an.

Bei ihnen ist es daher besonders wichtig, dass das persönliche Umfeld auf Auffälligkeiten achtet und Beistand anbietet. Angehörige oder andere Bezugspersonen, die sich Sorgen machen, sollten diese mitteilen und Gesprächsbereitschaft signalisieren. Auch medizinische Fachkräfte in haus- oder kinder- und jugendärztlichen Praxen sollten aktiv nachfragen, wenn sie bei männlichen Patienten Verdachtsmomente für eine Essstörung oder Muskelsucht bemerken. Oft sind Betroffene erleichtert, angesprochen zu werden und ihren Zustand nicht länger verheimlichen zu müssen.   

Gerade Jungen und Männer brauchen eine akzeptierende und wertfreie Atmosphäre, um sich zu öffnen. Diese finden sie in Beratungsstellen. Dort können sie sich an neutrale und erfahrene Fachkräfte wenden – auf Wunsch anonym. Die meisten Einrichtungen unterstützen unabhängig vom Geschlecht. Es gibt aber auch einige, deren Angebote sich ausdrücklich an männliche Patienten mit Essstörungen oder Muskelsucht richten. Adressen entsprechender Anlaufstellen finden Sie in unserer Datenbank.

Ein spezielles Informationsportal rund um das Thema Essstörungen sowie Muskelsucht bei Jungen und Männern bietet die Ruhr-Universität Bochum. Dort schildern unter anderem Erkrankte ihre Erfahrungen. Das Aufklärungsangebot für Betroffene, Angehörige sowie behandelnde Fachkräfte finden Sie hier: Männer mit Essstörung