Viele Menschen mit einer Essstörung oder ihre Angehörigen empfinden den Austausch mit anderen Betroffenen als sehr hilfreich. Das Gefühl, nicht allein zu sein, stärkt und entlastet. Zudem bietet der Kontakt zu Gleichgesinnten Gelegenheit, Erfahrungen und Wissen miteinander zu teilen.
Mittlerweile gibt es verschiedene Formen der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. Bei allen handelt es sich um freiwillige Zusammenschlüsse von Menschen, deren Erkrankung oder Problem sie miteinander verbindet. Das Ziel des Austausches ist es, sich gegenseitig beizustehen und bei der Bewältigung belastender Situationen zu unterstützen.
Selbsthilfeangebote sind im Unterschied zu Therapiegruppen nicht fachlich angeleitet. Es handelt sich um reine Laienhilfe. Die Unterstützung von Betroffenen für Betroffene kann daher die professionelle Behandlung einer Essstörung nicht ersetzen.
Dennoch kann es in allen Phasen der Erkrankung sinnvoll sein, Selbsthilfeangebote wahrzunehmen. Der Beistand durch andere in ähnlicher Lage hilft,
- Mut zu fassen und sich an Beratungsstellen für Essstörungen zu wenden oder eine Therapie zu beginnen,
- Wartezeiten bis zum Beginn einer ambulanten Behandlung oder stationären Versorgung zu überbrücken,
- sich begleitend zur Therapie Motivation und Ratschläge für den Weg aus der Erkrankung zu holen,
- in der Nachsorge stabil zu bleiben, im Alltag besser zurechtzukommen und Rückfälle zu vermeiden.
Selbsthilfegruppen vor Ort
Die klassische Form der Selbsthilfe sind Gruppentreffen. Hier kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer regelmäßig zusammen – zu festen Terminen und an einem neutralen Ort. Die Zusammenkünfte finden in einem Kreis von ca. acht bis fünfzehn Mitgliedern statt. Die Zusammensetzung der Gruppe ist oft über längere Zeit relativ konstant.
Im Zentrum der Treffen steht das vertrauensvolle, wertschätzende Gespräch auf Augenhöhe. Alle Teilnehmenden verpflichten sich, in der Runde Besprochenes nicht nach außen zu tragen. Einige Gruppen bieten auch Fachvorträge an oder stärken das Wir-Gefühl über gemeinsame Aktivitäten wie Ausflüge. Durch den regelmäßigen persönlichen Kontakt lernen sich die Mitglieder der Gruppe kennen. Nicht selten entstehen dabei auch Freundschaften.
In Deutschland besteht ein breites Netz an örtlichen Selbsthilfegruppen für Menschen mit Essstörungen. Manche unterstützen erkrankungsübergreifend, manche sind auf eine bestimmte Form wie Magersucht, Bulimie oder Binge-Eating ausgerichtet. Es gibt altersspezifische Gruppen (z. B. für Jugendliche, junge Erwachsene, ältere Erkrankte) und solche speziell für Frauen oder Männer. Einige dienen dem therapiebegleitenden Austausch, in anderen treffen sich Betroffene, die ihre Erkrankung bereits überwunden haben.
Ebenso gibt es Gruppentreffen, die sich ausdrücklich an Angehörige richten. Dort sprechen Eltern, Partnerinnen und Partner, Geschwister oder andere Bezugspersonen miteinander über ihre Sorgen und den Alltag mit Erkrankten.
Der Besuch von Selbsthilfegruppen vor Ort ist freiwillig und in vielen Fällen unentgeltlich. Manche Anbieter verlangen für die Teilnahme eine Unkostenbeteiligung.
„Ganz wichtig war es für mich, in der Familiengruppe zu erkennen, dass es auch andere Familien mit Problemen gibt; ich habe nämlich immer gemeint, nur unsere Familie sei eine Ausnahme; nur in unserer Familie sei alles so trostlos, problematisch und gespannt. Heute kann ich meine Familie mit anderen Augen sehen und besser verstehen. Natürlich hat mir die Familiengruppe auch häufig Angst gemacht, und es kostete mich eine gehörige Portion Mut, mich darauf einzulassen, was dort alles angerührt wurde, und vieles tat mir sehr weh. Im Endeffekt habe ich meine Familie und mich selbst sowie andere Betroffene und ihre Familien besser kennen- und verstehen gelernt. Heute ist meine Beziehung zu meiner Familie herzlicher, als sie jemals gewesen ist.“
Digitale Selbsthilfegruppen
Neben Selbsthilfegruppen vor Ort gibt es zahlreiche Online-Angebote. Auch bei digitalen Gruppen steht der persönliche Austausch zwischen den Mitgliedern im Vordergrund. Er findet jedoch nicht in Präsenz, sondern ganz oder teilweise im virtuellen Raum statt. Dies hat den Vorteil, dass Teilnehmende ortsungebunden miteinander sprechen können.
Online-Gruppen verabreden sich ebenso wie Vor-Ort-Gruppen regelmäßig an festen Tagen und zu bestimmten Uhrzeiten. Die Zusammenkunft erfolgt meist per Video- oder Telefonkonferenz in Echtzeit. Die Mitglieder erhalten dazu eine Einladung. Mit einem Zugangslink oder -code, den die Gruppenorganisation beispielsweise per E-Mail verschickt, können Teilnehmende dem digitalen Treffen beitreten.
Manche Gruppen nutzen ergänzend auch Messenger-Dienste oder Chats, um Termine und Informationen an Mitglieder weiterzugeben oder einen kontinuierlichen Austausch untereinander zu ermöglichen.
Digitale Kommunikationsformen erleichtern den Zugang zu Selbsthilfeangeboten. An Online-Meetings können bei Bedarf mehr Menschen teilnehmen als an Vor-Ort-Treffen. Zudem können Betroffene sie zu Hause wahrnehmen – etwa, wenn keine Präsenzgruppe in Wohnortnähe verfügbar ist. Einige Anbieter arbeiten hybrid: Ein Teil der Gruppenmitglieder kommt zu einem Gesprächskreis zusammen, weitere schalten sich online dazu.
Online-Gruppen können aber auch mit Hürden verbunden sein. Manche Betroffene scheuen den technischen Aufwand. Andere befürchten, dass persönliche Daten oder sensible Gesprächsinhalte nicht ausreichend geschützt sind. Seriöse Selbsthilfegruppen achten jedoch darauf, digitale Angebote nutzerfreundlich und datenschutzkonform zu gestalten. Zudem tragen sie Sorge, dass alle Mitglieder sich an den Grundsatz der Vertraulichkeit halten.
Eine Handreichung zur sicheren Durchführung und zum Ablauf digitaler Gruppentreffen hat die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) erstellt. Den Leitfaden finden Sie hier.
Digitale Gruppentreffen haben sich vor allem seit der Corona-Pandemie etabliert. Viele Organisationen bieten sie inzwischen als Alternative oder Ergänzung zu örtlichen Gruppen an – häufig kostenfrei.
Weitere Informationen zu Selbsthilfegruppen finden Sie in diesem Themenblatt:
Selbsthilfegemeinschaften im Netz
Auch das Internet ist heute ein wichtiger Ort der Betroffenenhilfe. Gerade junge Menschen nutzen Foren, Webplattformen und soziale Netzwerke, um mit anderen in Kontakt zu treten und sich in der weltweiten Online-Gemeinde Rat zu holen.
Der Austausch im Netz weicht jedoch zum Teil grundlegend von Aktivitäten in digitalen Selbsthilfegruppen ab. So erfolgt die internetbasierte Kommunikation in der Regel
- nicht verbal, sondern schriftlich in Form von Posts, Kommentaren oder Nachrichten,
- ohne festen Rhythmus und zeitversetzt – je nachdem, wann Beteiligte gerade online sind,
- durch eine Vielzahl an Nutzern, die in ständig wechselnder Konstellation zu einem Thema diskutieren.
Solche eher losen Gruppierungen im virtuellen Raum, die ein gemeinsames Problem oder Interesse zusammenführt, bezeichnet man als digitale Selbsthilfegemeinschaften. In ihnen findet oft ein reger und vielseitiger Dialog statt. Menschen mit Essstörungen können sich dort unerkannt mitteilen und erfahren, wie andere Betroffene mit der Erkrankung umgehen oder sie besiegt haben.
Die Anonymität im Internet erleichtert es häufig, sich zu öffnen und Unterstützung von außen zu suchen. Sie führt jedoch manchmal dazu, dass Werte wie Fairness, Respekt und Ehrlichkeit im gegenseitigen Austausch missachtet werden. Im Netz stoßen Betroffene nicht selten auch auf falsche, unsachliche und irreführende Informationen oder bedenkliche Inhalte. Ein Beispiel sind sogenannte Pro-Mia- oder Pro-Ana-Gruppen. Hier spornen sich Mitglieder gegenseitig zum Abnehmen an und verherrlichen ihre Essstörung als Zeichen von Willensstärke.
Mehr zu den Chancen und Risiken der Vernetzung über das Internet lesen Sie in diesem Themenblatt:
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Herausgeber: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Selbsthilfeangebote finden
Zahlreiche Organisationen, Verbände und Institutionen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Selbsthilfe zu stärken und Betroffene zusammenzubringen.
Die zentrale Anlaufstelle in Deutschland ist die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS). Sie klärt über die Vielfalt und Möglichkeiten der gemeinschaftlichen Selbsthilfe auf. Durch verschiedene Datenbanken hilft sie zudem dabei, passende Angebote zu finden:
- Datenbank Selbsthilfeunterstützung: Sie können sich bei Fragen an die für Ihre Stadt oder Ihren Landkreis zuständige Selbsthilfekontaktstelle wenden. Diese Einrichtungen vor Ort unterstützen hauptamtlich bei der Suche nach oder bei der Gründung von Selbsthilfeinitiativen. Das Adressverzeichnis finden Sie hier (ROTE ADRESSEN).
- Datenbank Gemeinschaftliche Selbsthilfe: Sie führt bundesweit tätige Selbsthilfevereinigungen, Internetforen und Organisationen mit Selbsthilfebezug auf. Diese bieten entweder selbst Gruppen an oder stellen den Kontakt zu geeigneten Gruppen her. Diese Suche finden Sie hier (GRÜNE ADRESSEN).
- Datenbank Digitale Selbsthilfe: Hier sind die Kontaktdaten von bundesweit arbeitenden Selbsthilfegruppen erfasst, die sich ausschließlich oder überwiegend digital treffen. Das Vermittlungsangebot können Sie unter digitale-selbsthilfe.de nutzen.
- Datenbank Junge Selbsthilfe: In diesem Adressverzeichnis sind mehr als 1000 Selbsthilfegruppen und weitere Selbsthilfeangebote für junge Menschen in Deutschland gelistet. Zur Verfügung steht die Datenbanksuche unter schon-mal-an-selbsthilfegruppen-gedacht.de.
Auch Beratungsstellen für Essstörungenhaben oft einen guten Überblick, welche Möglichkeiten der Selbsthilfe es gibt. Sie können dazu informieren und Kontaktdaten von Gruppen nennen. Eine Suche nach professionellen Beratungsstellen finden Sie hier.
Zudem helfen in vielen Fällen Wohlfahrtsverbände, Gesundheitsämter oder soziale Dienste der Krankenkassen weiter. Oder fragen Sie in Ihrer ärztlichen oder psychotherapeutischen Praxis nach. Auch dort kann man Ihnen häufig sagen, wo Vor-Ort- oder Online-Gruppen angeboten werden.
Individuelle Selbsthilfe
Der nicht-professionelle Austausch unter Betroffenen ist eine tragende Säule der Selbsthilfe, aber nicht die einzige. Selbsthilfe kann durchaus wörtlich verstanden werden. Auch Menschen, die ihre Probleme nicht nach außen tragen möchten, können sich selbst helfen. Es gibt verschiedene Bausteine der individuellen Selbsthilfe, die die persönliche Bewältigung einer Essstörung erleichtern:
- Angehörige und andere Bezugspersonen können Halt geben und mit Rat und Tat zur Seite stehen.
- Internetprogramme und Apps bieten Unterstützung im alltäglichen Umgang mit der Erkrankung.